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Talk bei „Miosga“

„Trump könnte als russische Marionette in die Geschichte eingehen“

Zum Ausklang der Münchener Sicherheitskonferenz an diesem Sonntag diskutiert Caren Miosga mit Oleksij Makejew, Botschafter der Ukraine in Deutschland (Mitte), und dem Experten Carlo Masala über die Pläne von US-Präsident Donald Trump für die Ukraine.
Zum Ausklang der Münchener Sicherheitskonferenz an diesem Sonntag diskutiert Caren Miosga mit Oleksij Makejew, Botschafter der Ukraine in Deutschland (Mitte), und dem Experten Carlo Masala über die Pläne von US-Präsident Donald Trump für die Ukraine.

In normalen Wochen gibt es kaum einen segensreicheren Sendeplatz im deutschen Fernsehen als den von „Caren Miosga“: um 21.45 Uhr am Sonntagabend im Ersten, direkt nach dem „Tatort“. Das ist Premium-Fernsehzeit. Der Mörder ist gefasst, der Fall ist gelöst, die Nation hat das Abendessen verputzt und ist von kollektiver Bettschwere noch halbwegs entfernt und in bester Glotzlaune empfänglich für neue Gedanken.

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Normalerweise. An diesem Sonntag jedoch erwies sich der Luxus-Sendeplatz als Fluch. Denn parallel zu „Miosga“ liefen nebenan bei RTL die letzten 30 Minuten des ersten Kanzler-Quadrells der TV-Geschichte.

Flucht in ein anderes Thema

Die „Miosga“-Redaktion versuchte erst gar nicht, eine B-Veranstaltung zu den Themen des Quadrells zu organisieren oder gar – wie vor einer Woche nach dem im eigenen Sender übertragenen Kanzler-Duell – mit Gästen Bilanz zu ziehen. Stattdessen griff man sich (in der Hoffnung, wenigstens ein paar Scholz/Merz/Weidel/Habeck-müde Quadrell-Flüchtlinge unter den Zuschauern und Zuschauerinnen einzusammeln) das zweitwichtigste Politthema der Woche: die Ukraine-Debatte und die Vorzeichen einer neuen Weltordnung, ausgesandt von Donald Trump und seinen politischen Buddies.

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Wahlkampf im TV

Der Winterwahlkampf 2025 findet mehr denn je in Talkshows statt. Unser Autorenteam analysiert bis zur Wahl regelmäßig, welche Politiker die TV-Bühnen am effektstärksten bespielen, welche Rededuelle Substanz haben und was Sie als reine Show verbuchen können.

Zu Gast bei „Miosga“: Außenpolitiker Norbert Röttgen (CDU), der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev, der Politikwissenschaftler und Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München, Carlo Masala, sowie Constanze Stelzenmüller, US-Expertin und Direktorin des „Center on The United States and Europe“, das zur Brookings Institution gehört, einem Washingtoner Think Tank.

"Zwei Prozent des Etas für Verteidigung ist nicht genug": CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen - hier zu Gast im Januar bei "maybrit illner" im ZDF mit Ex-Grünen-Chefin Ricarda Lang (im Vordergrund).
"Zwei Prozent des Etas für Verteidigung ist nicht genug": CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen - hier zu Gast im Januar bei "maybrit illner" im ZDF mit Ex-Grünen-Chefin Ricarda Lang (im Vordergrund).

Spielt Europa für Trump noch eine Rolle?

Es ging um die Frage, ob der Ukraine nach den irrlichternden Ansagen verschiedener Trump-Adjutanten und der tölpelig-düsteren Rede des US-Vizepräsidenten J. D. Vance auf der Münchener Sicherheitskonferenz noch dunklere Zeiten drohen. Und ob Europa in den Erwägungen des ichtrunkenen US-Präsidenten überhaupt noch eine tragende Rolle spielt oder ins Nebenfach abgestellt wird.

Spoiler-Alarm: Europa muss militärisch und politisch stärker, geeinter, härter und entschlossener handeln, um China, Russland, den USA und anderen Machtzentren der Erde auf Augenhöhe zu begegnen. In dieser Frage war sich die Viererrunde in der ARD – Miosga hatte sich zahlenmäßig ebenfalls für ein Quadrell entschieden – sehr einig, viel einiger übrigens als die vier Kanzlerschaftsbewerber nebenan bei RTL.

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Forderte bei "miosga" Sicherheitsgarantien und eine NATO-Mitgliedschaft für die Ukraine: der Botschafter der Ukraine in Deutschland, Oleksii Makeiev (hier bei einem Besuch in Dresden).
Forderte bei "miosga" Sicherheitsgarantien und eine NATO-Mitgliedschaft für die Ukraine: der Botschafter der Ukraine in Deutschland, Oleksii Makeiev (hier bei einem Besuch in Dresden).

Einigkeit ist Gift für eine lebendige Debatte. Dennoch war durchaus Leben in der Bude. „Da tritt eine neue Regierung auf, die uns erklärt: Weiß ist Schwarz, und Schwarz ist Weiß“, sagte US-Expertin Stelzenmüller mit Blick auf die US-Regierung. Sie sehe Züge von Größenwahn in der „MAGA-Mannschaft“ („Make America great again“). Dort glaube man auch: „Die europäischen Rechtsradikalen sind unsere besten Freunde.“

Mit welcher Absicht habe Trump mit dem russischen Machthaber Wladimir Putin telefoniert, fragte Miosga? „Vielleicht sieht man darin eine Möglichkeit, die Russen und die Chinesen voneinander abzutrennen“, sagte Stelzenmüller. „Der Angstgegner der US-Konservativen ist China. Möglicherweise würden für diesen Schritt die Interessen der Ukraine und auch der Europäer geopfert.“ Wenn Trump in Sachen Putin-Verhältnis aber so weitermache, könnte er eines Tages „als Marionette in die Geschichte eingehen“.

„Wir müssen für unsere eigene Sicherheit sorgen“

Als „fundamentalen Angriff“ auf die „kulturelle Wertebasis“ des Westens bezeichnete Röttgen die Rede von Vance auf der Sicherheitskonferenz und die Positionen von Trump. Das Ziel sei eine „libertäre“, also „regellose“ neue Welt. „Vance glaubt, er ist der Demokrat und wir alle nicht.“ Es sei aber alles noch „ein bisschen chaotisch“ in der neuen US-Regierung, deshalb stehe möglicherweise kein klarer Plan dahinter. „Das hat alles keine Linie“, sagte Röttgen. „Wir erleben Reflexe und Antipathien – keine Strategie.“

Röttgen sagte aber auch: „Europäische Sicherheit ist ab diesem Wochenende allein europäische Sache. Wir können es uns nicht leisten, jetzt nicht tätig zu werden. Wir müssen für unsere eigene Sicherheit sorgen. Das macht kein anderer mehr.“

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Sollen also auch deutsche Soldaten unter einer CDU-Bundesregierung in der Ukraine stationiert werden, fragte Miosga? „Diese Frage ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu beantworten“, sagte Röttgen (der als Minister in einer möglichen Friedrich-Merz-Regierung durchaus denkbar erscheint). Es sei nicht seriös, jetzt davon zu sprechen. „Aber schließen Sie es bitte nicht aus“, sagte Botschafter Makeiev. Das hatte etwas Berührendes. Denn in dieser Frage geht es für die Ukraine nicht um Parteipolitik, sondern um Leben und Tod.

„Das ist Putins Agenda auf ganzer Linie“

Mekeiev erinnerte daran, dass die Ukraine längst über solche Fragen nachdenke – aus Not. „Wir sind diejenigen, die genau diese Werte, die Trump gerade infrage stellt, mit Waffen verteidigen“, sagte Makeiev. Auf den Vorwurf von Vance, die ukrainische Regierung sei illegitim, antwortete er: „In unserer Verfassung steht, dass während eines Krieges keine Wahlen abgehalten werden dürfen.“ Dasselbe stehe übrigens auch im Deutschen Grundgesetz. „Wir können in dieser Situation, mitten im Krieg, keine Wahl organisieren.“

Kann es also wirklich „Verhandlungen“ mit Putin geben? „Von ‚Verhandlungen mit Russland‘ zu sprechen, ergibt zum jetzigen Zeitpunkt keinen Sinn“, sagte der Politikwissenschaftler Masala. „Aus den USA hören wir ja nur, was Russland alles nach einem Frieden bekommen soll. Das sind doch keine Verhandlungen. Das ist Putins Agenda auf ganzer Linie.“ Der russische Präsident sei der „klare Gewinner der letzten Tage“ gewesen.

Absage an Europa: J.D. Vance, Vizepräsident der Vereinigten Staaten, bei seiner Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz.
Absage an Europa: J.D. Vance, Vizepräsident der Vereinigten Staaten, bei seiner Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz.

„Niemand auf der Welt will Frieden mehr als die Ukraine“

Die irritierende Rede von Vance in München und die Äußerungen von Trump hätten aber auch ihr Gutes, sagte Botschafter Makeiev. „Mich freut, dass die Europäer jetzt begriffen haben, dass vieles in unseren eigenen Händen liegt“, sagte er. „Wir brauchen keine Vermittler. Wir brauchen Verbündete. So viele wie möglich.“ Die Erfahrung der Ukraine der vergangenen Jahre zeige, dass man mit Russland „nur aus einer Position der Stärke“ verhandeln könne.

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„Niemand auf der Welt will Frieden mehr als die Ukraine“, sagte Makeiev. „Wir haben seit mehr als tausend Tagen schlaflose Nächte. Luftalarm. Meine Mutter schreibt mit bei WhatsApp: ‚Der Kreis um mein Haus verkleinert sich. Hier eine Drohne. Dort ein Treffer.‘“ Jetzt schlage „die Stunde Europas“. Es brauche jetzt neue „Churchills“, sagte er.

Röttgen pflichtete ihm bei, was die Dringlichkeit angeht. „Wir stehen am Abgrund“, sagte der CDU-Politiker. „Das ist jetzt unsere Verantwortung. Die müssen wir übernehmen, sonst fallen wir in diesen Abgrund.“ Russland bereite sich darauf vor, auch die Nato zu testen, sagte Masala. „Wenn wir Putin jetzt geben, was er will, ist das für ihn keine Besänftigung, sondern eine Ermutigung.“ Niemand sollte glauben, dass man Putin zufriedenstelle, wenn man ihm alles gebe, was er wolle. Es sei derselbe Effekt wie beim Münchener Abkommen 1938 zu befürchten, als britisch-französische Appeasement-Politiker glaubten: Wenn wir Hitler das Sudetenland geben, gibt es keinen Krieg.

Ist Amerika schon verloren?

Ist Amerika also schon verloren als Verbündeter und Verteidigungsmacht westlicher Werte, fragte Miosga? Nein, sagte Stelzenmüller. Sie glaube nicht, dass der inneramerikanische Kampf zwischen der radikalen Rechten und den Verfechtern der Demokratie schon entschieden sei. „Die Gerichte wehren sich, und die Einstellung der Entwicklungshilfe erregt Abscheu und Empörung. Wenn diese Milliarden fehlen, werden Menschen sterben – in North Dakota wie in Afrika.“ Auch in der republikanischen Partei seien nicht alle traditionellen Überzeugungen verschwunden, sagte Röttgen. „Beide Seiten sind noch da. Nur die eine ist gerade sehr still.“

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Es war dann doch streckenweise hartes Brot, am späteren Sonntag eine Sendung zu verfolgen, in der bei aller Dringlichkeit des Themas auch Vokabeln wie „Kapitalmarktkomponente“, „Minsk III“, „Selbstparalysierung“ und „fiskalische Kapazität“ eine tragende Rolle spielten. Interessant gewiss für transatlantisch interessierte Außenpolitikfeinschmecker – aber nur in Teilen geeignet für den quadrellmüden Normalverbraucher zum Ausklang des Wochenendes.