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In den Niederungen der High Society

Ein Au-pair-Mädchen verschwindet – Dänische Thrillerserie „Das Reservat“ bei Netflix

Der stille Sohn hat Geheimnisse: Viggo (Lukas Zuperka) wird von seiner Clique, die frauenfeindliche Videos sammelt und verbreitet, unter Druck gesetzt. Seine Mutter Cecilie (Marie Bach Hansen) spürt die Verunsicherung ihres Sohnes. Szene aus der Netflix-Thrillerserie "Das Reservat".
Der stille Sohn hat Geheimnisse: Viggo (Lukas Zuperka) wird von seiner Clique, die frauenfeindliche Videos sammelt und verbreitet, unter Druck gesetzt. Seine Mutter Cecilie (Marie Bach Hansen) spürt die Verunsicherung ihres Sohnes. Szene aus der Netflix-Thrillerserie "Das Reservat".

Da sitzen sie zusammen auf Designerstühlen, und Kunst, teure Kunst, hängt als Dekoration hinter ihnen an der Wand. Alles in der Villa des Unternehmers Rasmus (Lars Ranthe) und seiner Ehefrau Katarina (Danica Curcic) ist vollendet geschmackvoll eingerichtet. Nach dem Essen mit dem befreundeten Paar Cecilie (Marie Bach Hansen) und Mike, Rasmus‘ Anwalt (Simon Sears) wird als Dessert Rassismus gereicht. „Du magst doch gar keine Asiatinnen“, sagt Kat zu Rasmus. „Ich mag es nicht, dass die Muschi quer sitzt“, feixt der. Und fragt den Freund: „Hast du nicht ,Gelbfieber‘?“ Alles vollendet geschmacklos. Zumal es um Ruby (Donna Levkovski) geht, Rasmus‘ spurlos verschwundener Au-pair-Kraft.

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Allein Cecilie (Marie Bach Hansen) schließt sich dieser diskriminierenden Heiterkeit nicht an. Sie hat zum ersten Mal das Gefühl, dass das Schicksal der jungen Frau von den Philippinen auch etwas mit ihr zu tun hat. Dass Ruby etwas zugestoßen sein muss. Vielleicht dämmert ihr auch, dass „Au-pair“ eigentlich „auf Gegenleistung“ bedeutet und das eigentliche Ziel dieses Systems ein Kulturaustausch war statt Ausbeutung.

Die vordergründige Freundlichkeit ist keine echte Nähe

„Das Reservat“ heißt die sechsteilige Serie aus der Feder von Ingeborg Topsøe. In der es um Dänen der Upper Class geht, die junge Asiatinnen als Haushaltshilfen und Kinderbetreuerinnen anstellen und sie gering bezahlen. Die Freundlichkeit ist gespielt, in Dänemark wird distanziert geduzt.

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Ruby hatte Cecilie am Tag vor ihrem Verschwinden um Hilfe gebeten - sie könne nicht länger bei ihrer Gastfamilie – Rasmus, Katarina und deren Sohn Oscar - bleiben. Cecilie hatte nicht einmal nach dem Grund gefragt. „Ich kann dir nicht helfen“, war ihre Antwort gewesen. Jetzt wühlt Schuld, wo vorher die Selbstgefälligkeit eines sich als ehrbar empfindenden Menschen saß. Cecilie macht sich auf die Suche nach Ruby und der Wahrheit.

Per Fly hat die Klassengesellschaft schon früher kritisiert

Regie führte Per Fly. Schon einmal widmete der sich der dänischen Klassengesellschaft, die Reichen kamen in seiner Trilogie „Die Bank“ (2000), „Das Erbe“ (2003) und „Totschlag“ (2005) schlecht weg. Ein gruseliger Hauch des Herrenmenschentums umweht die Menschen des Whisky-Gürtels nördlich der Hauptstadt Kopenhagen auch in „Das Reservat“. Keine Empathie. Nirgends.

Was auch auf die Kinder übergeht. Der halbwüchsige Oscar (Frode Bilde Rønsholt) filmt mit dem Handy heimlich Frauen und teilt die Filme und Bilder mit seiner Clique. Nackte Haut ist die Währung für Zugehörigkeit. Dass Viggo (Lukas Zuperka), Cecilies stiller, noch kindlicher Sohn und Oscars Freund, von Au-pair Angel (Excel Busano) gerade mal den Saum ihres Höschens erwischt hat, reicht nicht. „Wenn du nichts bringst, fliegst du raus“, wird ihm gedroht. „Meine Mutter sagt, Ruby ist eine Hure“, sagt Oscar. Und später: „Sie darf nicht Nein sagen. Sie ist angestellt, um mich zu mögen.“

Thematischer Bezug zum Netflix-Hit „Adolescence“

So erzählt „Das Reservat“ eine Geschichte von Misogynie und Rassismus über den Einfluss von Erziehung und von Frauenhasser-Foren des Internets auf die Psyche sexuell erwachender männlicher Jugendlicher. Die weibliche Emanzipation - Skandinavien gilt hier als weltweit am fortgeschrittensten - ist bei Fly erkauft. Karrieren von Frauen werden ermöglicht durch Au-pairs aus Asien. Und das Patriarchat lässt seine Frauen nicht wirklich aus dem Griff.

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Um den drohenden offenen Rücksturz moderner Gesellschaften in die Weltsicht einer Verschiedenwertigkeit der Geschlechter ging es jüngst auch in Stephen Grahams Bravourstück „Adolescence“ (2025), das die Aufarbeitung des Mordes eines 13-jährigen Jungen (allerdings aus kleinbürgerlichen Kreisen) an einer Mitschülerin schildert. Hier ist das Thema Teil eines Thrillers, der zugleich ein Gesellschaftsdrama à la Henrik Ibsen sein will.

Was formal fehlschlägt: Die kalten Farben der frühen Fly-Filme sind einem künstlichen, prospektartigen Glanz gewichen, die stereotypen Dialoge – zumindest die deutschen – wirken wie Erzeugnisse einer besonders stumpfen KI. Auch das Ensemble fällt hinter denen von „Nordic Noir“-Klassikern wie „Kommissarin Lund“ (2007-2012) und „Die Brücke“ (2011-2018) zurück.

Für die Botschaft wird die Heldin verbogen

Wo bei Graham am Ende des Schreckens noch die Aussicht auf dessen Bewältigung stand, erlaubt sich Fly wenig Optimismus. Am Ende aller guten Absichten siegt bei ihm der Magnetismus der Privilegien, gestützt werden die Reichen von Pfaffen und Polizeichefs. Allein die philippinische Community erscheint als menschlich. Ihre Dienstherren dagegen verraten und verkaufen die Au-pairs, vertuschen Verbrechen an ihnen, lassen rechtsstaatliche Grundsätze außer Acht. Diese Gier- und Geldwesen erscheinen so auch als potenzielle Grableger von Demokratie. Alles egal – Hauptsache: Ich!

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Um diese vernichtende Aussage treffen zu können, weichen Showrunnerin und Regisseur schonmal die Plausibilität auf. Der Charaktersprung der Heldin Cecilie am Ende ist nicht nachvollziehbar. Zuvor haben die Macher sie gefühlt 100 Mal beim Joggen gezeigt.

Bis auch der Letzte merkt: Wer joggt, läuft im Kreis, kehrt zurück, statt wegzulaufen und auszubrechen.

„Das Reservat”, Miniserie, sechs Folgen, von Ingeborg Topsøe, Regie: Per Fly, mit Marie Bach Hansen, Excel Busano, Simon Sears, Danica Curcic, Lars Ranthe, Lukas Zuperka, Frode Bilde Rønsholt, Gel Andersen, Donna Levkovski, Sara Fanta Traore (streambar ab 15. Mai bei Netflix)