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Nachrichten Schwäbisch Gmünd

25 Jahre INF-​Abrüstungsverträge: Besuch von General Haddock und Podiumsdiskussion im Landesgymnasium in der ehemaligen Kaserne

100 Jahre gibt es die Bismarck-​Kaserne — und als die Pershing-​II-​Atomrakten in Gmünd stationiert waren, war sie das Hauptquartier der US-​Brigade. Heute ist dort ein Landesgymnasium für Hochbegabte. An diesem historischen Ort saßen gestern Menschen auf dem Podium, die vor 25 Jahren Zeitzeugen und Handelnde waren. Fazit nach rund zwei Stunden: Es gab damals viele Meinungen und mehrere Wahrheit — und dies ist auch heute noch teilweise so.

Mittwoch, 07. November 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
4 Minuten Lesedauer


Von Gerold Bauer
SCHWÄBISCH GMÜND. Der Auftakt fand im Rathaus statt, wo sich der damalige US-​General im Beisein alter Freunde sowie Mitgliedern der Friedensbewegung ins Goldene Buch der Stadt Schwäbisch Gmünd eintrug. Oberbürgermeister Richard Arnold würdigte — wie später auch in der öffentlichen Veranstaltung in der Aula des Landesgymnasiums — den amerikanischen Offizier als sehr besonnenen Menschen, der als „Soldat und Diplomat“ maßgeblich dazu beigetragen habe, dass trotz der damals sehr aufgeheizten Stimmung in Schwäbisch Gmünd die Lage ruhig blieb und es nicht zu einer Eskalation kam. Dieses Fähigkeit, in schwieriger Lage richtig zu reagieren, sei wohl auch maßgeblich dafür gewesen, dass Haddock nach seiner Zeit in Gmünd Stadtkommandant der US-​Streitkräfte in Berlin wurde. In seine Dienstzeit dort fiel auch der Fall der Berliner Mauer. „Überall, wo Sie waren, spielte sich Weltgeschichte ab — und es wandte sich jedes Mal zum Guten“, zog OB Arnold ein Resumee von Haddocks Lebenswerk als Offizier.
Wolfgang Schlupp-​Hauck, bis heute ein aktives Mitglied der Friedensbewegung, erinnerte bei der kleinen Feier im Rathaus daran, dass sich die Proteste damals nicht gegen einzelne Menschen richteten, sondern gegen die gefährlichen Waffen. „We like your face, but not your base“ (Wir mögen Euro Gesichter, aber nicht Euren Militärstandort) sei damals ein Grundsatz für den Umgang mit den Angehörigen der US-​Armee gewesen.
Bei der Diskussion im Gmünder Unipark bestand das Publikum zum einen aus vielen älteren Leuten, die die Diskussionen und die Demonstrationen in Gmünd als Zeitzeugen erlebten — darunter der damals noch ganz junge Mutlanger Bürgermeister Peter Seyfried und der damalige Polizeidirektor Rolf Rapp. Die andere Hälfte im Saal waren Schüler, für die die Zeit des Kalten Krieges nur ein Teil der Geschichte und der Frieden eine Selbstverständlichkeit ist. Denn seit vor 25 Jahren von US-​Präsident Reagan und das sowjetischen Staatsoberhaupt Gorbatschow die INF-​Verträge über die Verschrottung der Mittelstreckenraketen unterzeichnet haben, ist der Kalte Krieg vorbei und die von Atomwaffen ausgehende Gefahr für die Europäer deutlich geringer geworden.
„Guten Abend, Freunde!“, sagte der ehemalige Sowjetarmee-​Major Nicolai Skiba auf Deutsch, hielt den Rest der Rede aber auf Russisch. Er habe damals seinen Dienst in der raketentechnischen Basis getan und sei für die Vorbereitung und Montage der Nuklear-​Gefechtsköpfe zuständig gewesen. Seine Brigade hatte damals 20 Mittelstreckenraketen vom Typ SS 20 – und Skiba verhehlte nicht, dass ihm damals bewusst gewesen sei, welche gefährliche Waffe dies war (ein einziger Gefechtskopf hatte die Zerstörungskraft von 25 Hiroshima-​Bomben). Ein Schmunzeln rief seine Bemerkung hervor, dass er nun den Feind von damals, General Haddock, persönlich kennengelernt habe und dieser keineswegs so schrecklich sei, wie man ihn damals auf sowjetischer Seite beschrieben hatte.
General a.D. Raymond Haddock brachte — komplett auf Deutsch – seine Freude darüber zum Ausdruck, dass er mit so vielen Menschen, insbesondere auch an einer Schule mit jungen Leuten, über dieses Thema sprechen könne. „Wir hatten damals verschiedene Meinungen — und jeder Mensch hat das Recht, seine Meinung zu äußern.“ Dies habe er immer so gesehen und sich dafür eingesetzt, das die Leute gegen die Pershing-​II-​Raketen demonstrieren durften. Freie Meinungsäußerung und Demonstrationen seien Grundrechte der Demokratie. „Und wir US-​Soldaten waren dazu da, die Demokratie zu schützen!“. Parallel dazu habe er sich stets darum bemüht, durch Aufklärungsarbeit die Menschen zu überzeuge, dass zuerst die Bedrohung durch die sowjetischen SS-​20-​Raketen da gewesen sei und die USA die Pershing-​II-​Waffen nur deshalb entwickelt und aufgestellt haben, um eine Antwort auf die gegnerischen Raketen (die den amerikanischen Pershing-​I-​Raketen an Reichweite und Zerstörungskraft weit überlegen waren) geben zu können. Wer die Tatsachen betrachte, müsse erkennen, „dass wir alles richtig gemacht haben!“.
Peter Schulz, als Hauptmann der Nationalen Volksarmee der DDR (NVA) räumte ein, dass es damals eine amerikanische und eine sowjetische Sicht gegeben habe und er seinerzeit die Stationierung der Pershing-​II-​Raketen nicht als „Nachrüstung“ empfunden habe.
„Es geht mir ein bisschen wie damals — ich fühle mich als Randfigur“, begann der Friedensforscher Dr. Wolfgang Sternstein sein Statement. Er selbst habe durch seinen Vater („Ein Nazi der übelsten Sorte, der Frau und Kinder verprügelte“) schon früh Gewalt erlebt. Später wollte er ergründen, warum Gewalt entsteht und sei durch die Beschäftigung mit dem gewaltfreien Widerstand im Stil eines Mahatma Ghandi letztlich zur Friedensbewegung gekommen. Allerdings sehe er es auch heute noch als wichtig an, dass sich das Bemühen um Frieden nicht auf Reden beschränkt, sondern auch Handeln einschließt. „Wenn Regierungen nicht handelt, dann muss es die Bevölkerung tun!“, habe er sich damals gesagt, sei in Mutlangen ins Militärgelände eingedrungen und habe selbst einen Raketentransporter „abgerüstet“. Danach sei er nicht geflüchtet, sondern habe sich festnehmen lassen und sei für seine Überzeugung insgesamt 14 Monat im Gefängnis gesessen.
Auf die Frage von Wolfgang Schlupp-​Hauck, ob die Aktionen der Friedensbewegung zum Zustandekommen der INF-​Verträge beigetragen haben, antwortete Harry L. Heintzelman, ein Mitarbeiter des State Departements in Washington: „Dazu gibt es verschiedene Wahrheiten, dies war damals alles sehr kompliziert!“ Auf alle Fälle sei es gelungen, durch diese Verträge die Welt etwas sicherer zu machen. Auch heute sei es der Wunsch von Präsident Obama, am liebsten alle Atomwaffen zu beseitigen — allerdings sei dies aus Sicherheitsgründen derzeit noch nicht möglich.
„Diese Waffen bedrohten die ganze Menschheit und hätten wohl zur totalen Vernichtung durch Reaktion und Gegenreaktion geführt, wenn jemand aus irgend einem Grund auf einen Knopf gedrückt hätte“, sagte Peter Schulz. „Man wusste aber auf beiden Seiten, dass dieser Wahnsinn nicht passieren darf — und deshalb kamen die Abrüstungsverträge zustande.“ Nikolaj Jegorow schilderte, wie er als junger Leutnant eine ganz andere Meinung hatte und überzeugt war, dass er einen Beitrag leisten müsse, um sein Land vor der Bedrohung durch den Westen zu schützen. Alle Militärs gaben in der Diskussion offen zu, dass sie als Soldaten Befehle ausgeführt hätten — also auch den Einsatz von Atomraketen, wenn dies befohlen worden wäre. „Dafür darf man nie die Soldaten verantwortlich machen, sondern die Politiker!“ betonte Skiba.
Dr. Wolfgang Sternstein machte deutlich, dass nach seiner Ansicht schon die Herstellung, die Aufstellung und erst recht natürlich der Einsatz von Atomwaffen ein Verbrechen gegen die Menschheit und die Menschlichkeit seien. Als seine Botschaft des Abends zitierte er den Theologen Gollwitzer: „Wir können auf Dauer nicht mit der Bombe leben. Entweder wir schaffen die Bombe ab, oder sie schafft uns ab!“

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